asphalt schwitzt / beton auch

sie haben uns gegossen. sie haben eine grube gegraben und uns hineingeschüttet. flüssig und tiefschwarz. wie ihren kindern haben sie uns namen gegeben, uns beton und asphalt getauft. sie haben uns massiert und gestreichelt und eine flache ebene aus uns gemacht. sie haben uns als maskulines und steinhartes schild einer linearen fortschritts-zivilisation ausgehängt. sie haben gesagt, dass sie durch uns effizienter an ihre ziele kommen. pfeilgerade, rasendschnell. sie verstehen uns als bahn, als schlängelnde richtung, als untergrund, als verlässliches fundament.

sie haben viel von uns gehalten.

sie haben viel davon gehalten, dass wir vieles halten.

sie kennen uns als synonym für schmutz und scham. kennen die dreckigen hinterhöfe, gehortetes plastik, faulend vergessene vegetation. müllfluten, die ihre zugehörigkeit verloren haben und nun an unsere trockenen küsten branden. sie kennen uns. als trostlose deponie ausrangierter dinge. sie kennen uns als heimat der heimatlosen. wenn sie uns als betten entlarven, unter aufgewühlten schlafsäcken und gesammeltem leergut. wenn sich ihre schritte beschleunigen, sie ihre nasenflügel einfalten. nicht hinsehen. ihre starren blicke stattdessen uns durchbohren. sie kennen uns als rottrunkene lust. wenn sie eilig um ecken huschen, sich auf uns die füsse vertreten, plötzlich langsamer werden. hände sanft nach ihnen tasten, die ihre körper aus und von uns ziehen. sie kennen uns, wenn von sirenen die rede ist, wenn das blaulicht rauscht. sie kennen uns. als brutalen zusammenprall von kriminalität und krawall. wenn päckchen gegen scheine getauscht werden, glasscheiben uns blutig spritzen. knochen an uns brechen. und illusionen obendrauf.

[in deutschland leben zweitausendachtzehn einundvierzig tausend menschen ohne jede unterkunft auf der strasse.]

jetzt sind sie irritiert. sie kennen uns als synonym für freiheit. als transportierende tragfläche. für’s davonkommen. sie kennen uns als beständigkeit. als verlässlichen anker, der immer einen ausweg weiss. sie irgendwo stranden lässt. sie vorbeiziehen lässt, an stadthochburgen und ackerbau, an sandwüsten und gipfelspitzen, an azurblauen wogen und kieferngrünem dickicht. sie kennen uns als verführerin ins unbekannte. als dunkles versprechen unter rauschenden autositzen. als gefährtin neben vorbeiziehender leuchtreklame, an deren ende das wort urlaub wartet, winkend und grossbuchstabiert. sie kennen uns, wenn sich ihre mageninnenwände konträr zu unseren windungen verhalten und sie uns als serpentine verfluchen. sie kennen uns, wenn ihre wirbelsäulen durch unsere löchrigen alterserscheinungen malträtiert werden und sie die infrastruktur verfluchen. sie kennen uns. in unzähligen erzählungen nehmen sie auf uns bezug. missinterpretieren, metaphorisieren, mystifizieren uns. machen aus uns popkultur und instrumentalisieren uns zum zwecke ihrer kunst.

sie kennen uns als synonym für industrie und kapital. als grauen füllraum, der leben quadratisch verpackt und in geradlinige bewegung versetzt. sie kennen uns. eilen zu ihrer arbeit, auf uns, kriechen wieder nach hause, auf uns. sitzen auf unseren kanten und rändern, leere flaschen daneben, schnippen uns asche entgegen. sie kennen uns. posieren auf uns vor prächtigem gemäuer, lauschen ihren melodischen absätzen, verwandeln uns in ihren tagtäglichen laufsteg. sie kennen uns als enge passage, als weite fläche und unscheinbare konstante. schultern uns stühle und tische auf, verwandeln uns in stampfende tanzsteppen. parken sich und ihr wertvolles gut auf unserem rücken, sortieren sich in reih und glied, lieben unsere ordnung. malen uns farbe auf. stricheln, ziehen, markieren, stoppen uns. dekorieren uns in gerahmtem weiss. sie kennen uns als bildschirm zierenden werbehintergrund auf dem sich frisch lackiertes genüsslich präsentiert. vorsprung durch technik / ein guter stern auf allen strassen / das auto / nichts ist unmöglich. allesamt dürfen sie uns überrollen. allesamt dürfen sie uns mit statussymbolen beladen. dürfen uns rau und glatt und dunkel und ungefragt in der gegend platzieren.

und jetzt. jetzt sind sie irritiert. sie haben kostbaren boden gefunden, fruchtbares land und sich fallen lassen darin. sie haben sich zu siedlern gemacht und die erde zu ihrem untertan. sie haben städte erbaut und sie ausgebreitet. sie haben sich sesshaft gemacht. und sassen irgendwann lieber auf festem untergrund. begannen uns anzurühren. mischten und mischten und mischten. gebaren uns zu einer kräftigen textur. liessen uns in der ferne zerlaufen. und verhärteten die nähe. machten das städtische dingfest, machten das städtische starr. erfanden etwas, das sie industrie tauften und ergossen es in unserem dickflüssigen grau. wir wurden viele, wir wurden mehr. wir wurden enger, wir wurden schwer. die stadt, das waren wir. wir, das war die stadt. sie haben gebaut und gebaut und gebaut, um das heilige land zu besetzen. und eines tages, da wachten sie auf. blinzelten. einmal, zweimal. da war das land versunken.

wir haben es begraben, flüstern wir.

und hüten es gut.

fotomodel: valentin & timur.

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